STUTTGARTER
ZEITUNG vom 1.10.2002 |
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Kultur für die Eisenbahn – mit Hesse nach Zürich
Ein Videoprojekt von Dieter Marcello unterrichtet den
Reisenden über Wissenswertes entlang seiner Fahrtstrecke
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Von Ulrich Kriest Das ganze Leben ist ein Quiz. Wer öfter mal mit der
Bahn, besser: mit dem ICE gefahren ist, kennt die Situation. Kaum hat man den
Bahnhof verlassen, erklingt die freundliche Stimme des Zugführers, der seine
Gäste freundlich an Bord seines Zuges begrüßt, welch letzterer auch einen
wohiklingenden Namen hat wie Isolde Kurz, Agnes Günther, Ricarda Huch, Franz
Krucl<enberg oder gar Imre Kälmin. Da liegt doch der Gedanke nahe, zum
papiernen Zugbegleiter zu greifen, um etwas für seine Allgemeinbildung zu
tun. Man weiß schließlich nie, wann man Günther Jauch begegnet. ,,Wie hieß
der 1965 verstorbene Konstrukteur des legendären, aber letztlich erfolglosen
propellergetriebenen Schienenzeppelins in den 30er Jahren und für welche
ICE-Strecke fungiert er als Namenspatron?" Richtig: Franz
I<ruckenberg und Hamburg-Stuttgart. Solcherart erfüllte die Deutsche Bahn AG ihren Kulturauftrag. ,,Erfüllte" muss es heißen, weil der Bahnchef Hartmut Mehdorn im August dieses Jahres bekannt gab, dass die Benennung der Fernzüge nach Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, Landschaften oder Sehenswürdigkeiten am Zuglauf zum Jahresende 2002 mit wenigen Ausnahmen eingestellt werde. Stattdessen wolle man diese Fläche einer Reihe von Kommunen zu Werbe- |
zwecken zur Verfügung stellen, Vom 31. Oktober an
fährt man nun im ICE ,,Berlin" in die Hauptstadt und wird nicht mehr an
Bettina von Arnim erinnert. Hier könnte diese Geschichte enden, wäre nicht
die Idee der Namenspatrone längst auf kreative Köpfe gestoßen. ,,Als die Bahn bekannt gab,
sie werde die Namenspatrone für die Fernzüge aufgeben. glaubten wir unser
Projekt am Ende. Mittlerweile sehen wir es als regelrechte Chance",
erzählt der Filmemacher und -produzent Dieter Marcello (,,Albert Kahn -
Architekt der Moderne) von der in Marbach am Neckar ansässigen Filmmedia
GmbH. Das Projekt kann man sich am Schneidetisch bereits ansehen, nur der
Feinschnitt und die Tonspur erfordern noch etwas Arbeit bis zur Fertigstellung.
Es trägt den Titel ,,lntercity-Film" ulid besteht aus sieben DVDs, die
gewissermaßen das Erbe der Namenspatronage antreten und die dahinter
steckende Idee perfektionieren. Für den Pilotfilm, der in Kürze der Offentlichkeit
vorgestellt werden soll, hat man sich die lntercitvstrecke Stuttgart-Zürich
ausgesucht, denn hier verkehrt nur noch im ,,Hesse-Jahr" der ICE
,,Hermann Hesse". Jeder ,,lntercity-Film" wird zwei DVDs mit etwa
30 Minuten Film enthalten. Eine DVD widmet sich der Strecke, die der Zug
gerade durch-misst, die andere porträtiert eine ,,herausragende
Persönlichkeit mit besonderer Bedeutung für die Geschichte und die Kultur der |
Region" (Marcello). Im Falle des Pilotfilms
heißt das konkret: Der Film zur Strecke präsentiert Impressionen entlang der
Bahnstrecke Stuttgart-Zürich, beginnt in der Landeshauptstadt, streift
Böblingen, Haigerloch und Rottweil, erzählt von der Herrenberger
StiftsI<irche und vom dortigen GIocl:enmuseum, von den Vulkankegeln im
Hegau und endet im urbanen Zürich. Vier Wochen hat man gedreht, das Ergebnis
kann sich - bei der Strecke kein Wunder - sehen lassen. Der Clou ist dabei
der interaktive Datenteil der DVD, der detaillierte kulturhistorische, architektonische
oder auch geologische Informationen bereithält, unterhaltsame Anekdoten zu
Land und Leuten und auch einen Service-teil für Hotelbuchungen oder
I<artenreservierungen. Wenn man sich den Film gemeinsam
mit Dieter Marcello und seinem Team anschaut, wird die konzeptionelle
Interaktivität als Begeisterung spürbar. Prinzipiell setzt lediglich die
Speicherkapazität des Datenträgers der Fantasie Grenzen, wenngleich die
adäquate interaktive Nutzung in den Zügen durch die Reisenden per Notebook,
PaIm oder Handy derzeit noch Zukunftsmusik ist. Doch solche Einwände können
dem Projekt nichts anhaben, schließlich ist daja noch die zweite DVD des
Pakets, ein gediegenes Hesse-Porträt, das biografische und werkgeschichtliche
Details auf so anspruchsvolle wie unterhaltsame Weise präsentiert, dass man
sich die dreißig |
Minuten auch anschaut, wenn man sich für Hesse
nicht die Bohne interessiert. Beide Filme funktionieren als eigenständige
Produkte, über e~e Vermarktung im Verbund mit einem marktgängigen
Reiseführer wird nachgedacht, aber auch der Einsatz beider Filme in Schulen
wäre vorstellbar, schließlich besitzt die Länge und Qualität der Filme Unterrichtsformat. Natürlich, auch das hat die Produktion des Pilotfilms gezeigt, sind die Recherchekapazitäten des kleinen Teams begrenzt. Die von der MFG bewilligten Fördermittel für die nächsten sechs Filme, die sich mit Oskar Schlemmer (Stuttgart-Dortmund), Albert Schweitzer (Lyon-Frankfurt) und Sepp Her-berger (Bern-Hamburg) beschäftigen werden; stehen bereit, die Kontakte zu Regisseuren und Autoren, die zu jedem der Themen einen besonderen, persönlichen Bezug haben sollen, sind geknüpft. Die Fehler der Bahn muss man Ja nicht übernehmen. Der ICE ,,Seppl Herberger" verkehrte bislang zwischen Hamburg und Zürich der IntercityFilm wird konsequenter den Weg bis nach Bern gehen Ehrensache sagt Dieter Marcel lo, schließlich wird das Wankdorf Stadion ja wieder aufgebaut Auch das wussten wir vor dieser Begegnung noch nicht Letzte Frage Wer ist eigentlich Imre Kalman? Ein Operet tenkomponist besser bekannt als Emmerich Kälman ( Grafin Mariza ) das ist die Strecke München Budapest Wieder was gelernt |