Strecke Dresden – Zürich
Gottfried Semper |
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Peter Neitzke: Semper Materialien zu einem Film (Skizze) (Rote Markierungen:
locations; blaue: mögl. Experten) Seit je unterhalten Architekten
fast ausnahmslos ein nahezu ungebrochenes Verhältnis zu Geld und Macht. Nun
soll man ihnen das nicht vorhalten. Denn wer seine Entwürfe gebaut sehen
will, braucht vermögende und einflußreiche Bauherren: Kaiser, Könige,
Fürsten, Diktatatoren, den Staat, Industrielle, Banken, kapitalkräftige
Privatiers – ein Personal, das seinen Rang immer schon mit glänzenden
Objekten und weithin bekannten, wenn nicht berühmten Künstlernamen schmücken
wollte und nach wie vor will. Auf Zweifler, Kritiker, Rebellen gar läßt man
sich nicht ein. Kein Wunder, daß es Architekten vorziehen, mit ihren politischen
– gegebenenfalls vom herrschenden Konsens abweichenden – Auffassungen nicht
oder nur in Ausnahmefällen an die Öffentlichkeit zu treten. So hielt es auch der
Architekt des Ucciardone genannten Festungsgefängnisses von Palermo, ein gewisser Carlo Giachery. Doch sei er sich zu
spät, behauptet die Legende, „seiner Komplizität mit dem bourbonischen konterrevolutionären
und anti-demokratischen Terrorsystem bewußt“1 geworden. Statt
sich umzubringen, hätte er besser daran getan, den Auftrag zu den Carceri giudiziarie, dem beim Hafen
gelegenen Gefängniskomplex, gar nicht erst anzunehmen. Oder lautstark
zurückzuweisen. Auch um öffentlich zu demonstrieren – und sich dabei
vielleicht doch nicht ins gesellschaftliche Abseits zu manövrieren –, daß
nicht einzig Geld und Macht die hervorragendsten Plätze im Denken und im
Leben von Architekten besetzen. Unbestrittenermaßen war
Gottfried Semper, am 29. November 1803 in Hamburg geboren, eine solche Figur.
Was sich nicht übersehen oder kleinschreiben läßt, findet sich in praktisch
allen ernstzunehmenden Arbeiten, die sich mit Sempers Leben und Werk
auseinandersetzen. Der „einzige bedeutende deutsche Architekt“ sei er
gewesen, „der in der Revolution von 1848/49 aktiv auf der Seite der
Volksmassen für eine demokratische Entwicklung kämpfte“2. Semper arbeitet seit 1826 in
Paris. Hier erlebt der Sechsundzwanzigjährige die Julirevolution. Mit ihr,
notiert der Vater, sympathisiere er lebhaft. Zwischen 1830 und 1833 bereist
Semper Italien und Griechenland. 1834 legt er eine Arbeit vor, die die seit
rund zwei Jahrzehnten geführte „Polychromiedebatte“ befeuern wird: Vorläufige
Bemerkungen über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten . Wie der Franzose Quatremère de Quincy ist Semper
von der ursprünglichen Farbigkeit der antiken Architektur überzeugt. Aber
ihm geht es nicht vorrangig um eine sei es noch so wichtige baugeschichtliche
Korrektur. Semper streitet gegen den „weißen Klassizismus“ vertretende
Zeitgenossen, die schematisch antike Vorlagen idealisieren. (Hier ließe
sich, wenn man will, über eine Neuauflage im 20. Jh. reden: Die Verklärung
der Romanik als stereometrisch reiner „weißer“ Baukunst, der zahlreiche
Baugeschichtler anhingen. Erst die Wiederentdeckung der bunten Romanik, in
Limburg etwa, hat dem ein Ende gesetzt.) Es geht ihm auch hier um den Zusammenhang von künstlerischer und gesellschaftlicher
Entwicklung. „Nur einen Herrn kennt die Kunst“, schreibt er, „das Bedürfnis.
Sie artet aus, wo sie der Laune des Künstlers, mehr noch, wo sie mächtigen
Kunstbeschützern gehorcht. ... [Das] organische Leben griechischer Städte
ist nicht ihr Werk, es gedeiht nur auf dem Boden des Bedürfnisses und unter
der Sonne der Freiheit." Im selben Jahr 1834, am
30.September, wird er Professor und Vorstand der Königlichen Akademie der bildenden
Künste zu Dresden. Das aufgeklärte Bürgertum verspricht sich von dem Mann,
der in diversen bürgerlich-demokratischen Clubs als Citoyen präsent ist und
in entschieden republikanischen Kreisen verkehrt, eine Unterstützung seiner
eigenen Bestrebungen. Sempers erste prominente Bauten entstehen jetzt: das
(nur in der Literatur sich findende) erste Hoftheater (1838-1841;
1869 abgebrannt, 1871-1878 verändert wieder aufgebaut, 1945 kriegszerstört,
1985 als Semperoper [Dokument:
unter Hochwasser] rekonstruiert), die Synagoge
(1838-1840)3 , die Villa Rosa (1839), das Palais Oppenheim
(1845-1848), und die – den Zwinger an der Nordflanke schließende – Gemäldegalerie (1847-1855). Inzwischen schreibt man das
Jahr 1848, das Jahr der Märzrevolution. Semper beschränkt sich nicht darauf,
die laue Haltung seiner akademischen Kollegen zu kritisieren. Seine aktive republikanische Haltung bezeugt
eine Richard Wagner geltende Notiz, die sich in einer Akte des sächsischen
Justizministeriums findet. Darin wird Wagner „beschuldigt, seinen Garten hergegeben zu haben, um dort Besprechungen über Volksbewaffnung zu
halten“4. An diesen Besprechungen habe auch „Professor Semper“
teilgenommen. Im Mai kämpft Semper an der Hauptbarrikade in der Dresdner Wilsdruffer Gasse . Vor
der Provisorischen Regierung führt er Beschwerde über deren schlechten
Zustand, danach leitet er den Barrikadenumbau. Vom 5./6. Mai 1849 an ist er
bis zum 9. des Monats Kommandant der Barrikade an der Waisenhausstraße 13. Am
16. Mai, der Aufstand ist inzwischen mit Unterstützung preußischer Truppen
niedergeschlagen, wird er im „Anzeiger
für die politische Polizei Deutschlands“ steckbrieflich gesucht. Im
„Demokratenverzeichnis“ heißt es unter „Dresden II“ : „Semper, Gottfried,
Professor für Baukunst I. Klasse. Ist als Führer der Umsturzpartei genügsam
bekannt. Nahm 1849 April [??] am Maiaufstand teil. Ist flüchtig.“5
Da ist er bereits auf der Flucht nach Zwickau und emigriert über Karlsruhe
und Straßburg nach Paris und London. Nicht gerade das, was sich für
gewöhnlich in einer Architektenkarriere findet. Ein Gnadengesuch an den
sächsischen König war Sempers Sache nicht. Seine Ehefrau Berta versuchte es,
beide Male gegen Sempers Willen und erfolglos, 1850 und 1852. In London, wo er sich bis
1855 aufhält, arbeitet Semper am Aufbau des South-Kensington Museums mit und
nimmt einen gut dotierten Lehrauftrag am Department of Practical Art an. Durch den ehemaligen
Barrikadenmitkämpfer Richard Wagner vermittelt, lehrt Semper vom Juni 1855 an als Professor für Architektur am
eben ins Leben gerufenen Zürcher
Polytechnikum (ETH Zürich). Mit der Planung von dessen neuem Gebäude beginnt er 1858. Der längst
berühmte, den Zürcher Stadthorizont prägende Bau wird 1864 fertig. In
Sempers Zürcher Jahre fällt auch die Arbeit an seinem berühmten, in seiner
theoretischen Substanz allerdings lange zuvor, bereits ab 1840 in
Vorarbeiten konzipierten, zweibändigen Hauptwerk Der Stil in den technischen
und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik (erschienen 1860 und 1863). 1870 steht Sempers zweites
Schweizer Großbauprojekt, das Winterthurer
Stadthaus. Die im Graubündischen
1862/1863 nach seinen Plänen für den Zolldirektor Augustino Garbald errichtete
Villa im Bergell, mit offenem Solaio, Rebpergola und südländischem
Garten – der einzige Semper-Bau südlich der Alpen – soll, bis zum Herbst 2003 renoviert, ein Zentrum für
Forschung, Kommunikation und Kultur werden. Aufsehenerregend, heißt es, sei,
daß zahlreiche Wände und Decken in über einem dutzend Räumen ursprünglich
farbig bemalt waren; der Fund sei so interessant, daß die Fondazione Garbald
nach einer Finanzierung für die Restaurierung der Malereien sucht. Trotz
dieser Aufträge hält Semper sich in der Schweiz für verkannt. 1869, Semper
ist 66 Jahre alt, ruft man ihn nach Wien zur Planung des Kaiserforums. 1870
zieht er von Zürich nach Wien um. Er entwirft und realisiert das
Kunsthistorische Museum (fertig 1889) und das Naturhistorische Museum
(eingeweiht 1891). Beide Aufträge muß er sich allerdings mit Karl von
Hasenauer teilen. Die Eröffnung des Burgtheaters (14. Oktober 1888), nach
vierzehnjähriger Bauzeit mit von Hasenauer geplant, wird Semper nicht mehr
erleben. 1876 zieht sich Semper von
der Bautätigkeit zurück. Am 15.Mai 1879 stirbt er mit fünfundsiebzig Jahren in Rom. Anmerkungen: 1 Peter Kammerer, Ekkehard Krippendorff, Reisebuch Italien 1,
Berlin 31981, S. 219. Der 1812 Geborene, liest man andernorts, sei in Palermo im Jahre 1865 gestorben,
über die Todesursache kein Wort. 2 Heinz Quitzsch, Gottfried Semper – praktische Ästhetik und
politischer Kampf, Berlin 1962, hier zit.
nach der Ausgabe Braunschweig 1981 (Bauwelt Fundamente, Bd. 58), S.
10. 3 vgl. Synagogen in Deutschland – eine Virtuelle Rekonstruktion: http://www.cad.architektur.tu-darmstadt.de/synagogen/inter/menu.html
(Dresden). 4 ebd., 18. 5 Landeshauptarchiv Dresden, Akte Ministerium des Inneren Nr. 11038,
Demokraten-Verzeichnis Dresden II
No. 465, zit. nach ebd., Anm. 37. „Aus Unterlagen des sächsischen
Ministeriums des Inneren geht hervor,
daß er [Semper bei seinem späteren Aufenthalt] in England und später in der Schweiz bis 1863 [!] ständig von der
sächsischen Polizei überwacht wird. [...] Die sächsische Geheimpolizei sammelt Nachrichten aus
seinem Schweizer Aufenthalt. 1858 wird mitgeteilt, er werde in der Schweiz zur
‘Flüchtlingsaristokratie‘ gezählt, besitze aber keinen Kontakt zu den sozialistischen Kreisen in der Schweiz.“
zit. nach ebd. Anm. 49 und 50. |