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Der Tagesspiegel

Stuttgarter Zeitung

RIAS

Frankfurter Allgemeine Zeitung (deutsch)

Frankfurter Allgemeine Zeitung (english) 

 

 
FBW-Jurybegründung
Prädikat besonders wertvoll
Mit den Augen, den Hoffnungen und Ängsten, Erlebnissen und Enttäuschungen von acht Menschen zeigt der Film das Leben in den USA in vier Episoden, die am Anfang dieses Jahrhunderts , in den zehner bis dreißiger Jahren, den dreißiger bis vierziger Jahren und heute spielen. Dabei werden die Paare, die man gleichzeitig als Menschen ihrer Zeit und als die Erinnerung der heutigen Frau an ihr früheren Leben miterleben kann, dadurch zu „Mit“-Menschen, dass sie von dem gleichen Schauspielerpaar verkörpert werden. Die Unterschiede der Lebensumstände in der jeweiligen und die Gleichartigkeit menschlicher Empfindungen zu jeder Zeit verschränken sich dabei aufs engste.

Intensiviert wird dies durch eine bravouröse Verwendung dokumentarischer Aufnahmen. Sie werden als Dokumente nicht zum Tatsachenbeleg oder als Recherchier-Zertifikate eingefügt, sondern kommen als die natürliche Arbeitswelt und alltägliche Umgebung der Gestalten wie selbstverständlich zur Geltung, stellen dadurch ihre Bild- und Sachinhalte nicht demonstrativ zur Schau, sondern erscheinen als Teil ihrer Zeit. Verstärkt wird diese unmittelbare Wirkung der Dokumentaraufnahmen durch ihre sensible Interpretation mit Hilfe der Musik und der zurückhaltend nachsynchronisierten Geräusche. Hervorragend gelungen sind die unumgänglichen Verbindungen von alten und neu inszenierten Aufnahmen, die sich oft wie nur unterschiedliche filmische Wiedergaben der gleichen Geschehnisse miteinander verbinden.

Die Gestaltung des Films, die durch die Einfühlung der zwei Darsteller in die jeweiligen zeittypischen Gestalten mit Hilfe des Spiels, der Maske und der Kostüme noch gesteigert wird, verdichtet sich durch die Geschlossenheit der Thematik und des Inhalts. Denn es ist die Automobilstadt Detroit, die zum Thema des Films wird, der damit die Entwicklung der modernen Fertigungs-, Ausbeutungs- und Arbeitskampfmethoden zum Mittelpunkt des Geschehens macht. Die geografische wie die soziale Mobilität als eine zeitgemäße „Generalmobilmachung“ der gesellschaftlich-politischen Kräfte der Individuen und der Gruppen, der Wirtschaft und des Staats, d.h. die Technik als der Ausgangspunkt auch für die soziale Entwicklung kommen so – aber eben fern derartiger Theoretisierungen – zur Geltung.

Es sind nicht derartige Gedanken, sondern Kreationen der Fantasie, die diesen Film veranschaulicht. Er vertraut in seinen Szenen und Entwicklungen auf die sinnliche Präsenz des Seh- und Hörbaren und versagt sich wohlfeilen Abstraktionen.

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e
pd Film 6/90
AMERICAN BEAUTY LTD.
 
BRD 1989. R, B u. P: Dieter Marcello. K: Axel Block. Sch.: Christel Maye. M: Wolfgang Hamm. T.:
Gerhard Metz.
Ba: Sigi Glos, Marcie Paul. A: Petra Schneider. Ko: Anne Hoffmann. Pg: Dieter Mar-cello projekt+film Gmbh. Recherche: Thomas Am-mann. Künstl Beratung: Edith Schmidt. V.: Basis. L.: 89 Min. FSK: 6, ffr. FBW.: bw. DEA: Berlinale 1989. St.: 13.6.1990.: D: Liora Hilb, Walter Sachers.
 
Ein elegischer Abgesang an den amerikanischen Traum, an die mit der industriellen Revolution verbundenen Hoffnungen.: Ein Spielfilm mit Dokumentarteilen. Vier Paare werden vorgestellt, von denselben Schauspielern gespielt (Liora Hilb, Walter Sachers), beginnend mit Einwanderern aus Cagliari 1905, endend mit Avantgardekünstlern der achtziger Jahre. In der Beziehung dieser Paare spiegelt sich der Traum der Zivilisation, fixiert auf die Autostadt Detroit - und das böse Erwachen. So scheitert die Beziehung der sardischen Einwanderer daran, daß der eine manisch-depressiv erkrankt. Die Große Depression wiederum führt dazu, daß der galizische Autoarbeiter seine Rolle als Mann nicht mehr spielen kann, weil er die Arbeitslosigkeit psychisch nicht verkraftet. Der Gewerkschaftsfunktionär verliert seine Frau, die den Glauben an die Berufung der Ingenieure ("Philosophen der neuen Gesellschaft") spätestens nach dem zweiten Weltkrieg verloren hat. In den achtziger Jahren haben sich Avantgardekünstler und Gesellschaftswissenschaftler in den leerstehenden Fabrikhallen eingenistet. Die amerikanische Photographin und der deutsche Industriesoziologe gehen eine kurze, aber intensive Beziehung ein, in der sie das Schicksal der Paare reflektieren, aber der Forschungsauftrag ist bereits zu Ende, adieu Detroit.
AMERICAN BEAUTY LTD., der erste Spielfilm von Dieter Marcello, ist eine Hommage an die Arbeiterehepaare in Detroit. Fiktion und Dokumentaton gehen ein delikates, ja inniges Verhältnis ein, und der Regisseur steht mit seiner Person daflür gerade. Marcello, Schauspie-ler, aber auch Motorenprüfer (und Betriebsrat) bei Daimler-Benz, hielt sich selbst einige Mo-nate zu Forschungszwecken (Thema: Habermas und Industriesoziologie) in Detroit auf. Dem, was er dort aufgefunden hat, erweist er seinen Respekt. So überführt er Archivmaterial von 1896 (Ankunft von Einwanderern) in Spielfilm, indem er Situationen weiterspielt in den Kostümfilm hinein.
Andererseits wird Fiktion zum Dokument, wenn er die Halle Fisher 11, im Studio nachgebaut, mit den Geschichten der Beteiligten des großen Sitzstreiks in Flint, Michigan, füllt.:
Damals, 1937, wurde die erste Industriegewerkschaft Amerikas erkämpft. Es treten daher Dorothy und Henry Kraus auf, Gewerkschaftsfunktionäre von damals. Während des Battle of the Running Boot war Dorothy in der legendären Emergency Brigade und Henry, Herausgeber des "Flint Auto Worker", in der Streikleitung. In den zwischenmontierten Dokumentarszenen meint man sie wiederzuerkennen.
In den überaus sorgfältigen Montagen und detailgetreuen Rekonstruktionen von Bauten und Ambiente erscheinen die Veteranen - Saal Wellmaan war sowohl Spanienkämpfer wie Führer der Druckergewerkschaft van Detroit - in AMERICAN BEAUTY LTD. wie auf einer zu ihren Ehren geschmückten Bühne. Der Film ist in der Tat ein würdiger Rahmen, die Ar-beitergeschichte Detroits zu überliefern. Wenn der Film in der Kunstszene endet - Lowell Boileau wendet für seine Bilder Arbeitstech-niken an, die er als Arbeiter bei Chrysler er-lernt hat -, dann ist er inzwischen selbst Exponat geworden, Museums-, Lehr- und Kunst-Stück. Die exemplarisch-didaktische Dramaturgie, die exzellente, ebenso liebe- wie kunstvolle Kamera (Axel Block), Ausstattung und Musik führen etwas vor: ein geradezu ele-gantes Werk, in welchem Hoffnung und Not, Kampf,Sieg und Niederlage, das Subjektivekumentaton gehen ein delikates, ja inniges Verhältnis ein, und der Regisseur steht mit sei-ner Person daflir gerade. Marcella, Schauspie-ler, aber auch Motorenprüfer (und Betriebsrat) bei Daimler-Benz, hielt sich selbst einige Mo-nate zu Forschuagszwecken (Thema: Haber-mas und Industriesaziologie) in Detroit auf. Dem, was er dort aufgefunden hat, erweist er seinen Respekt. So überführt er Archivmate-rial von 1896 (Ankunft von Einwanderern) in Spielfilm, indem er Situationen weiterspielt -in den Kostümfilm hinein.
Andererseits wird Fiktion zum Dokument, wenn er die Halle Fisher 11, im Studio nachge-baut, mit den Geschichten der Beteiligten des großen Sitzstreiks in Flint, Michigan, füllt.:
Damals, 1937, wurde die erste Industriege-werkschaft Amerikas erkämpft. Es treten da-her Dorothy und Henry Kraus auf, Gewerk-schaftsfunktionäre von damals. Während des Battle of the Runniag Boot war Dorothy in der legendären Emergency Brigade und Henry, Herausgeber des ,,Flint Auto Worker”, in der Streikleitung. In den zwischenmontierten Do-kumentarszenen meint man sie wiederzuer-kennen.
In den überaus sorgfältigen Montagen und de-tailgetreuen Rekonstruktionen von Bauten und Ambiente erscheinen die Veteranen - Saal Wellmaan war sowohl Spanienkämpfer wie Führer der Druckergewerkschaft van Detroit - in AMERICAN BEAUTY LTD. wie auf einer zu ihren Ehren geschmückten Bühne. Der Film ist in der Tat ein würdiger Rahmen, die Ar-beitergeschichte Detroits zu überliefern. Wenn der Film in der Kunstszene endet - Lowell Boileau wendet für seine Bilder Arbeitstech-niken an, die er als Arbeiter bei Chrysler er-lernt hat -, dann ist er inzwischen selbst Exponat geworden, Museums-, Lehr- und Kunst-Stück. Die exemplarisch-didaktische Dramaturgie, die exzellente, ebenso liebe- wie kunstvolle Kamera (Axel Block), Ausstattung und Musik führen etwas vor: ein geradezu ele-gantes Werk, in welchem Hoffnung und Not, Kampf,Sieg und Niederlage, das Subjektive der Arbeiter-Paare objektiviert worden ist. In der New Yorker Wohnung von 1907, im Stu-dio perfekt nachgebaut, sind Originalrequisiten ausgestellt, und auf dem 38er Chevy-Sitz (aus einem Automuseum) liegt der ,,Daily Worker” von 1938 als DIN-A-3-Kopie.
AMERICAN BEAUTY LTD.: ist ein vollkomme-ner Film, weil er auf Distanz geht - ein Blick aus Europa auf eine vergangene Zeit - und damit seinen Gegenstand voll in den Griff kriegt. Mareellos Film ist damit der Gegen-pol zu ROGER AND ME, dem wüsten, aber kraftvollen Dakumentarpamphlet von Michael Moore, das uns ebenfalls Flint, Michigan, zeigt einschließlich der Halle Fisher II, dem Urplatz der Autoindustrie. Während Marcel-lo die Halle in Köln liebevoll nachbaut, filmt Moore, wie die Halle an Ort und Stelle auf recht häßliche Art abgerissen wird. In ROGER AND ME ist die Stadt Flint erschreckend ge-genwärtig, ein Platz der Aggression und der Wut.
In AMERICAN BEATUY LTD. Sind die Emotionen versiegelt und Flint steht auf einem Podest; was konserviert werden soll, muß prä-pariert werden. Dieter Marcello leistet, was von hier aus zu leisten war. Sein Film ist eindeutscher Film.
Dietrich Kuhlbrodt

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DER TAGESSPIEGEL
Fr
eitag, 9. November 1990
 
,,American Beauty”
Dieter Marcello hat sich nicht gerade wenig vorgenommen für sein filmisches Debüt; ,,American Beauty” ist der Versuch, industrielle Aufbauträume und Technikmythen sowie deren Umsetzung in der Autostadt Detroit mit Mitteln der filmischen Collage in den Inszenatorischen Griff zu kriegen.
Das durchweg faszinierende Dokumentarmaterial aus den aufstrebenden US-Metropolen der zwanziger und dreißiger Jahre, die ergreifenden Aufnahmen von den großen Massenstreiks bei Ford oder bei General Motors verkoppelte er geschickt mit den exemplarischen Schicksalen dreier junger Liebespaare in jener Epoche einer stürmischen Industrialisierung. Dem entspricht die permanente Durchdringung von altem Archivmaterial und kurzen Spielfilmsequenzen, die dem Regiedebütanten freilich noch etwas statisch gerieten. Weitere Abstriche sind ansonsten kaum zu machen bei diesem Filmprojekt, mit dem der einstige Autoschlosser, Betriebsrat, Soziologe und Schauspieler Marcello gleich aufs Ganze ging und dem Zuschauer komplexe Einblicke auch in das mentale Innenleben eines sozialen Systems zu verschaffen suchte.
Axel Blocks exzellente Kameraführung trug dazu bei, dem ambitionierten Unternehmen auch einen hohen ästhetischen Reiz zu verschaffen, und wurde mit einem Filmband in Gold belohnt. Von erzählerischen Zwängen weitgehend befreit, nahm Blocks Kamera in den verödeten Straßenschluchten des heutigen Detroit die in längst verlassenen Werkhallen viel mehr als nur bröckelnde Oberflächen wahr. Auch die etwas kärglich gehaltenen Interaktionen der jungen Liebes- und Ehepaare gewinnen durch perspektivische Wechsel.
Sie kommen aus Ubersee, um in den USA ihr Glück zu machen: der Geigenbauer aus Galizien, der Arzt aus Sardinien, die junge Frau aus Straßburg. Ihr persönlicher Aufstieg vollzieht sich zunächst parallel zu dem von Detroit, scheint kaum mehr zu bremsen — bis die große Depression von 1929 einen unerwarteten Einbruch bringt. Sehr aktuelle Fortschreibungen zum Thema ,,Auto” verdeutlichen, daß der Traum vom permanenten Boom auf vier Rädern inzwischen längst zum ,Alptraum’ geworden ist. (Filmbühne am Steinplatz)
 Jochen Metzner

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STUTTGARTER ZEITUNG
NEU IM KINO
 
American Beauty Ltd.
Es war einmal in Detroit.
Bilder zum Leben erwecken — das ist die ganze Filmemacherkunst, und wenn sie je einer auf Anhieb beherrschen gelernt hat, dann Dieter Marcello, Schauspielstudent, Maschinenschlosser, Betriebsrat bei Daimler zuerst, dann Soziolog, akademisch geweiht, zuletzt mit Forschungsauftrag in Detroit. Dort schoß ihm wohl vieles ineins, die Lust an der backsteinrot glühenden Stadt, das alte Haßvergnügen am Thema Automobil, die Liebe zu vielerlei neugewonnenen Freunden und — über allem — industrie-soziologisch gespitzt das Interesse an Detroits Downtown, der puren Ödnis; kurz: die Nach-Empfindung vom Glück wie vom Zerschellen des großen ,Amerikanischen Traums”, der nirgends so hoffnungsvoll, so verzweifelt geträumt worden ist wie hier in Detroit, Michigan, Amerikas erster Automobilbauerstadt.
Daraus lebendigen Filmstoff zu gewinnen, collagiert aus Archivbildern, Spielszenen, diffusen Worker-Doku-menten und scharfer erotischer Fabelei, aus historischen wie hochmodernen Takes, schwarzweißen wie farbigen, stummen wie sprechenden — das verlangt gewiß viel kreativen Witz,‘ und Marcello hat ihn bewiesen, staunenderregnd. Ein Nackedei krabbelt auf allen vieren brmm-brmm-brmm übers Parkett, unterm Popo das Spielzeugauto schiebend, das ist die Einstimmung: so früh läßt sich der Mensch aufs Auto fixieren! Dann, zweite Szene, die leere Stadt: In langer luftiger Fahrt schwebt die Kamera an Detroits Wolkenkratzerfassaden vorüber (traumschön fotografiert von Axel Block, aus den Fenstern der hochgepfählten Sightseeingbahn) — das urbane ,,Juwel”, es scheint zu gleißen, und ist doch bereits erloschen: Detroit, tote City. Da aber tritt das Ich auf den Plan, Marcello, wachküssend die Vergangenheit: in drei kunstvoll animierten Familienchroniken, stummfilmisch bewegt, mit Off-Kommentar, läßt er dreifach sein Alter ego auftreten (Walter Sachers), hineingebannt in verschiedene Immigrantengeschicke, 1905, 1913, 1937, Automobilarbeiterleben exemplarisch, am Ende stets dem Scheitern näher als dem Sieg: Für Guiseppe, den Sizilianer mit der labortechnischen Endzeitidee endigt der Neue-Welt-Trip in manischer Depression; Joel, dem Geigenbauer aus Galizien, bescheren die ,,Modern Times” an Henry Fords‘ Fließband kaputte Hände, Arbeitslosigkeit; und Joseph, der engagierte Gewerkschafter, muß mitmachen, wie Detroits Autorevier, dies vorgebliche ,Arsenal der Demokratie”, nach dem Kriegseintritt der USA jäh und ungerührt zur Panzerproduktion übergeht.
Und heute? Detroits Fabrikhallen stehen leer, oder sie taugen grade noch als Galerien, Künstlerbehausungen, Kriminalfilmkulissen (Spezialfall: Autoverfolgungsjagd) — die Stadt, einst so vital, sie gähnt. Chicagos Coffeeshop-Angestellte sind längst dreist genug, Fremde vorm Besuch ,der Nachbarstadt’ zu warnen:
Detroit sei krimineller. Dessen Vier-Mil-lionen-Area ist im Kern, downtown, zu einem nostalgisch zerzackten Klacks zusammengeschnurrt, kaum menschenreicher als Stuttgart. Marcello (der in Stuttgart zu Hause ist) hat zum Automobil, wohl wie wir alle, ein ambivalentes Verhältnis — das überträgt er vermutlich auf Stuttgart selbst und mit Sicherheit auf Detroit. Sein ,American Beauty Ltd.” ist Hommage und Schreckbild zugleich. Dokumentarwerk, durchwuselt von lebendigster Fiktion. Schlimmschön bezaubernd.
Der ,,american dream”, endgültig ausgeträumt? Man komme erstmal hinüber: dann fasziniert er immer noch, grade auch Linke, grade auch literarische Köpfe, grade auch Deutsche — von Martin Walser bis Marianne Saegebrecht, von Percy Adlon bis Wim Wenders. Und was, fragt Marcello, wäre studierenswerter als das Amerika-Bild unserer Linken? Brechts Begriff von der Industrielandschaft Chicago — war er tatsächlich differenzierter als Karl Mays Begriff vom Wilden Westen? Mit Amerikas Schönheit hat‘s komplizierte Bewandt-nis; schönster Beweis: der Debütfilm von Dieter Marcello. Ska

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H
ans-Ulrich Pönack im RIAS

Warum gehen wir ins Kino?
Natürlich: Um uns zu unterhalten. Um Spaß zu haben, natürlich auch Spannung, aber auch — um uns zu informieren. Kino, das kann auch eine Reise durch unsere Welt sein, kann Abenteuer und Weiterbildung sein, weil wir selbst dazu zeitlich und finanziell kaum in der Lage sind.
Diese grundsätzlichen Gedanken stellen sich bei einem der besten Dokumentar-Spiel-filme der letzten Jahre. Er heißt ,,AMERICAN BEAUTY LTD.”. stammt vom ehemaligen Schauspieler, Arbeiter und Soziologen Dieter Marcello und wurde zu Recht in diesem Jahr für den Bundesfilmpreis nominiert. ,,American Beauty LTD.” ist das spannende, sinnliche und sehr informative Eintauchen in die amerikanische Geschichte. Ist ein 85-minütiger Geschichtsunterricht, wie er angenehmer und bildender kaum sein kann.
Amerikanische Geschichte, das ist auch immer die Geschichte des Autos. Deshalb spielt der Film auch in der Autostadt Amerikas, in Detroit. Zwei Schauspieler — Liora Hilb und Walter Sachers — durchlaufen in den Rollen als drei Paare unser Jahrhundert. Und während wir ihrem persönlichen Schicksal begegnen, treffen wir über echte, dokumentarische Foto- und Flimbelege und nachgespielte Momente der Epochen auf die großen Ereig-nisse dieses bald auslaufenden Jahrhunderts. Dieses Spiel mit Personen und Zeit wird zu einem faszinierenden Mosaik und Puzzle, das mehr erklärt und belegt über die Entwicklung des Menschen und seiner Zivilisation als viele Bücher und Vorträge. ,,American. Beauty LTD.” ist die hintergründige Beschreibung von dem, was wir seit Chaplin ,,die modernen Zeiten” nennen.
Neben dem Denker, Dichter und Lenker Dieter Marcello ist vor allem die phantastische Biiderkunst von Kameramann Axel Block zu erwähnen, der für seine Arbeit zu Recht mit dem ,,Filmband in Gold” bei der Bundesfilmpreisvergabe 1990 ausgezeichnet wurde. Ein filmisches Ereignis: ,,American Beauty LTD.” von Dieter Marcello, ab Donnerstag in der ,,Flimbühne am Steinplatz”.

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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG – dt.
16.
Juni 1990
Alles läuft dort auf Rädern
Im Kino: „American Beauty Ltd.“ von Dieter Marcello / Ein Dokumentarfilm als Mischform von Archivbildern und Spielszenen

Ein nackter Junge im Gegenlicht, der mit einem konzentrierten ,Brmm, brmm, brmm“ sein Spielzeugauto über den Parkettfußboden schiebt. Erst am Schluß des Films, erst aus der Rückschau begreift man die erste Einstellung von ,,American Beauty Ltd.‘ als das, was sie wirklich ist – als Widmung: Der Regisseur Dieter Marcello widmet diese Geschichte all jenen, die schon als Kind die Faszination gespürt haben, die von diesem Ding mit vier Rädem ausgeht. Er widmet ihn jenen, die sich wie er diese Begeisterung ihr ganzes Leben lang bewahrt haben, und besonders Jenen, die in einer Stadt gelebt und gearbeitet haben wie Detroit – seit Beginn unseres Jahrhunderts welt­weit das größte Zentrum der Autoindustrie, ein Mythos, durchdrungen vom „Geist der Bewegung“, eine Stadt voller Überheblichkeit und Größenwahn. die Wiege des amerikanischen Traumes, eine Wiege auf Rädern.

Begleitet von himmlischer Sphärenmusik, aus dem Blickwinkel des ,,Engels über Detroit“, erkundet die Kamera in der zweiten Einstellung mit einer langen Kamerafahrt das Panorama der Stadt, windet sich durch Häuserschluchten und an Wolkenkratzern vorbei, taucht ein in das einstige „Juwel unter den Städten der Welt", taucht ein in vier immer gleiche bittersüße Geschichten um Liebe, Glück und enttäuschte Hoffnung.

Dieter Marcello gelingt Erstaunliches: Vor der Kulisse der Industrielandschaft von Detroit, gese­hen mit den Augen und aus dem Blickwinkel von ei­nem, der wie mit umgekehrt gehaltenem Fern­glas in die Vergangenheit schaut, erweckt er Fa­milienchroniken zum Leben und verbindet diese leichtfüßig mit der Geschichte der Auto­stadt.

In einer vielschichtigen Collage aus schwarzweißen und farbigen Bildern, in einem kinematographischen Mosaik aus dokumen­tarischem Archivmaterial und Spielszenen läßt Marcello Jo, den Industriesoziologen, am letzten Tag seines Forschungsaufenthalts in Detroit eine Reise in die Vergangenheit antreten, läßt ihn sich erinnern an die Geschichten seiner wirklichen oder imaginierten Vorfahren, an Giuseppe und Rosa. an Joel und Roslyn, an Joseph und Rosy.

1905, l9l3 und 1937, drei Stationen amerikanischer Geschichte, drei Paare, drei Schicksale, gespielt von den jeweils gleichen Schauspielern Liora Hilb und Walter Sachers. Ausgangspunkt ist immer wieder Detroit – Hoffnungsträger von vielen Einwanderern zu Beginn des Jahrhunderts, von Menschen, die in den Fabrikhallen von General Motors und Ford versuchten, Ihr Glück zu machen. Der amerikanische Traum, das wohl abgegriffenste Klischee unserer Sprache – in Detroit, Michigan, wurde er einmal für eine kurze Zeit geträumt.

Eine Frauenstimme aus dem Off erzählt Geschichten. Zum Beispiel die von Joel, dem Geigenbauer aus Galizien, der sich voller Enthusiasmus ins hektische, aber erfolg­ver­spre­chende Leben der Neuen Welt stürzt: ,,Heute in New York angekommen, kolossal und prächtig.“ Aber er wollte weiter. ,,Seine Stadt, sagte er, ist Detroit. Alles läuft dort auf Rädern.“ Joel, der sich am Fließband von Ford seine Hände ruiniert, der arbeitslos wird, ist nur einer von vielen Episoden eines Lebens, Szenen vom kleinen Gliick, das schon von Anfang an – wie die Frauenstimme traurig konstatiert – den Keim der Depression, der Auflösung in sich trug. Sieg und Niederlage, Hoffnung und Scheitern – in den sepiafarbenen Bildern der inszenierten Szenen wie in den Doku­mentaraufnahmen vom Siegeszug des Automo­bils, von Fließbandarbeit und Streik­revolten, die Marcello montiert, verdichten sich Lebens­geschichten von Arbeiterehepaaren zu einem emo­tionsreichen, aber zugleich nüchtern-nach­denklichen Bilderbogen. Und das Frappierendste dabei ist: Je aktueller das Archivmaterial, desto über­gangsloser verkettet Marcello Dokumenta­risches und kunstvoll Nachgestel1tes, desto inten­siver verschränkt er die verschiedenen Erzähl­ebenen, verwebt er Realität und Fiktion in ein Kalei­doskop amerikanischen Lebens.

Das gelingt nicht nur, wenn er Figuren aus dem Archivmaterial in die Spielhandlung überführt, son­dern auch, wenn er die Requisiten lebendig werden läßt. So baute er nicht nur die Fabrikhalle, die man im Archivmaterial über den Flint-Streik von 1936 sieht, in Köln nach, sondern legte auf den 38er Chevy-Sitz auch eine A-3-Kopie der Originalausgabe des ,,Daily Worker“, die auf der Titelseite eben von den Ereignissen berichtet, die das Team gerade drehte.

Das gleiche gilt für die Personen: Giuseppe, Joel, Joseph und Jo, das sind Schattierungen ein und derselben Person, jede ein Alter Ego des Regisseurs Dieter Marcello, selbst Nachkomme italienischer Auswanderer, ehemals Schauspieler, ehemals Maschinenschlosser und Betriebsrats­mit­glied bei Daimler-Benz, dann Soziologiestu­dium bei Habermas. Und so ergibt sich nur folgerichtig, daß die Spielszenen mit Erin­nerungsstücken aus dem Leben von Marcellos Großmutter ausstaffiert werden, daß die eigene Biographie Eingang findet in die Geschichte des Films.

Die wunderschöne Fotografie von Axel Block, der von der Jury des Deutschen Filmpreises für seine Arbeit bei „American Beauty Ltd.“ mit einem (undotierten) Filmband in Gold aus­ge­zeichnet wurde, und die suggestive Musik, die Wolfgang Hamm für den Film komponiert hat, tragen dazu bei, daß sich in Marcellos Film wie in einem Puzzle Szene zu Szene fügt, daß sich der Film zu einer fein verzahnten, subtil verwobenen Hommage an eine Stadt rundet, die heute, nach den wirtschaftlichen Krisen Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre ihren wirtschaftlichen Zenit endgültig überschritten hat.

Die Kamera zeigt es uns, wenn sie Jo auf seiner Abschiedsfahrt durch das heutige Detroit begleitet. Die Fabrikhallen stehen leer, verfallen allmählich, dienen Künstlern als Wohnungen und Ateliers oder als ungewöhnliche Kulisse für eine Autoverfolgungsjagd. Im Gegensatz jedoch zu Michael Moores bissiger Sozialsatire ,,Roger & Me“, die Dokumentarmaterial aus den verschie­densten Quellen zur pointierten Collage verdichtet und mit viel schwarzem Humor und entlarvender Gesellschaftskritik zur Demontage des American Dream schreitet, ist Marcellos Film eine poetische Dokumentation über Träume und Hoffnungen im Land der begrenzten Möglichkeiten. Wenn Michael Moore in seinem Film die Mißachtung amerikanischer Unternehmen ihren Arbeitern gegenüber zeigt und dabei die Grundstrukturen des Wirtschaftssystems offenlegt, so läßt Dieter Marcello die wechselvolle Geschichte der Auto­industrie im zwanzigsten Jahrhundert in Bilder individueller Schicksale gerinnen. Wenn ,,Roger & Me“ als Dokument des Untergangs von Detroit in den Achtzigern gelten kann, weil der Film das letzte Kapitel in der Geschichte der Stadt auf­schlägt, so blättert Dieter Marcello zurück zu den Anfängen, zeigt die Stadt zu einer Zeit, als sie noch glaubte, der Mittelpunkt der Welt zu sein. Wo Michael Moore etwas ,,bewirken“ möchte, etwas verändern will, da konserviert Marcello, präpariert die Geschichte vom Automobilgiganten Ford mit der gleichen liebevollen Sorgfalt, mit der man sich längst ausgestorbenen Tierarten, Dinosauriern, widmet.

Ein deutscher Film? Ein deutscher Film! Und auch ein Beweis dafür, daß Marcello mit dieser neuen Art des Filmens im Grenzgebiet zwischen Dokumentation und Fiktion eine überzeugende Erzählform gefunden hat, die abseits von Trends und Moden des aktuellen Kinos etwas zu wagen versucht und dabei trotzdem ihren Weg zurn Publikum findet.
CLAUDIA WEFEL

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F
rankfurter Allgemeine Zeitung – engl.

AMERICAN BEAUTY LTD.
Review
Frankfurter Allgemeine Zeitung 
A naked boy against the light, pushing his toy car over a parquet floor with a concentrated "brmm, brmm, brmm". Only at the end of the film do you retrospectively comprehend the first shot in "American Beauty Ltd" as what it really is — as a dedication. Director Dieter Marcello dedicates this story to all those who as early as childhood sensed the fascination emanating from this thing on four wheels. He dedicates it to those who, like himself, have maintained this enthusiasm throughout their life, and especially to those who have lived and worked in a city like Detroit — since the beginning of the century the world's largest centre for the automobile industry, a myth permeated by the "spirit of movement", a city full of arrogance and megalomania, the cradle of the American dream, a cradle on wheels. 
  
Accompanied by heavenly music of the spheres, in the second image the camera explores the city panorama in a long tracking shot, winds through canyons of houses and past skyscrapers, and gets involved in four similar bitter-sweet stories about love, happiness, and disappointed hope. 
  
Dieter Marcello succeeds in something astonishing. Against the setting of the Detroit industrial landscape, seen with the eyes and from the viewpoint of someone who looks into the past as if with a telescope held the wrong way round, he brings family chronicles to life, delicately linking these with the history of the motor city. 
In a multi-layered collage of black and white and coloured images, and in a cinematographic mosaic of documentary archive material and acted scenes, Marcello has Jo, an industrial sociologist on the last day of a research project in Detroit, enter upon a voyage into the past, has him remember the stories of real or imagined forebears, Giuseppe and Rosa, Joel and Roslyn, Joseph and Rosy. 
  
1905, 1913, and 1937: three stages in American history, three couples, three destinies, each time played by the same two actors, Liora Hilb and Walter Sachers. The starting-point time and again is Detroit - source of hope for many immigrants at the start of the century, for people who attempted to make their fortune in the factory halls of General Motors and Ford. The American dream, probably the most hackneyed cliché in our language - but it was believed in for a short time at Detroit, Michigan. 
  
A woman's off-screen voice tells stories. For instance, the story of Joel, the violin-maker from Galicia, who enthusiastically plunged into the hectic but promising life of the mew world:  "Arrived in New York today. Colossal and splendid'. But he wanted to go further. "My city" — he said — "is Detroit. Everything there runs on wheels". Joel, who ruins his hands on the Ford assembly line, who becomes unemployed, is only one of many. Episodes in a life, scenes of modest happiness which right from the start — as the female voice sadly concedes - bore within it the germ of depression, of disintegration. 
  
Victory and defeat, hope and despair - both in the sepia-coloured images of the staged scenes and in the documentary shots of the triumph of the automobile, assembly-line work, and rebellious strikes which Marcello intercuts the life-stories of working-class couples are intensified to become a richly emotional and at the same time soberly thought-provoking sequence of visuals. And the most striking thing is that the more specific the archive material, the more seamlessly Marcello interlinks documentary elements with artful reconstructions, and the more intensively he dovetails the different levels of narrative, interweaving reality and fiction in a kaleidoscope of American life. 
  
That happens both when he transposes characters from archive material into the fictional action, and also when he makes props come to life. He didn't merely reconstruct in Cologne the factory hall you see in documentary material on the 1936 Flint strike, but also laid on the 38 Chevy seat an A-3 copy of the original edition of the "Daily Worker", reporting on its front page about the events the team was just shooting. 
  
The same applies to the characters. Giuseppe, Joel, Joseph, and Jo are all shades of one and the same person, each an alter ego of director Dieter Marcello, himself the offspring of Italian migrants, formerly an actor, and then a mechanic and member of the works council at Daimler-Benz, before studying sociology with Habermas. It is thus only consistent that the fictional scenes are equipped with keepsakes from the life of Marcello's grandmother and that the director's own biography enters into the film. 
  
The wonderful photography by Axel Block, whom the German Film Prize jury awarded an honorary Film Ribbon in Gold for his work on "American Beauty Ltd", and the evocative music Wolfgang Hamm composed for the film, also contribute to the way scenes are so smoothly linked, and to the fact that Marcello's film becomes a finely meshed, subtly woven homage to a city that after the economic crisis at the end of the seventies finally left behind its industrial peak with the start of the eighties. 
  
The camera shows us that when it accompanies Jo on his farewell trip through today's Detroit. The factory halls stand empty, gradually going to rack and ruin, serving artists as dwellings and studios, or as an unusual setting for a car chase. But unlike Michael Moore's biting social satire "Roger & Me", which heightens documentary material from a wide range of sources in proceeding to dismantle the American Dream with much black humour and revealing social criticism, Marcello's film is a poetic documentary about dreams and hopes in a land of limited possibilities. In his film Michael Moore demonstrates American business men's disdain for their workers, thereby demonstrating the economic system's basic structures, but Dieter Marcello allows the mixed history of the twentieth century automobile industry to become images of individual destinies. If "Roger & Me" can be viewed as documenting the decline of Detroit in the eighties because the film opens the final chapter in the city's history. Dieter Marcello leafs back to the beginnings, showing Detroit at a time when the city still believed itself to be the centre of the world. Where Michael Moore would like to "achieve" something, change something, Marcello conserves, preserving the history of the giant Ford automobile concern with the same loving care people devote to long extinct species of animals and dinosaurs. 
  
A German film? A German film! And also a demonstration that with this new kind ot film-making in the border zone between documentary and fiction Marcello has found a convincing form of narrative, which attempts to venture on something beyond the trends and fashions of current cinema, and nevertheless finds its way to the public. 
 
Claudia Wefel

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