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ARCHITEKTURFILM
Filmfestival der Baucoop Würzburg / in Kooperation mit BDA/BAB/AIV/Bauhütte
Januar 2002
Ein langer, sowie gründlich und faszinierend gemachter Dokumentarfilm,
der dem womöglich größten, einflußreichen Industriearchitekten
Albert Kahn (1869 - 1942).gewidmet ist. Der Film berichtet über Leben
und Werk des nur wenig bekannten Deutsch-Amerikaners jüdischer Abstammung.
Er wurde insbesondere mit seinen klaren und revolutionären Fabrikbauten
für die aufkommende US-Autoindustrie, etwa der berühmten Ford-Werke
in Detroit, bekannt und hatte einen nicht unerheblichen Anteil an der
Industrialisierung der Sowjetunion unter Stalin sowie an den enormen Rüstungsanstrengungen
der USA im Ersten Weltkrieg, und mehr noch im Zweiten Weltkrieg.
Zusammen mit seinem Bruder Julius als Büroleiter entwickelte er die
breite und auf wissenschaftliche Methoden gegründete Anwendung des
Stahlbetons in der Architektur des 20. Jahrhunderts. Unter seiner Ägide
entstanden nicht nur fast sämtliche Verwaltungsbauten und Werksanlagen
der großen Autokonzerne in Michigan, sowie Fabriken für die
amerikanische Luftfahrtindustrie, sondern auch Bibliotheken, Schulen,
Geschäfts- und Universitätsbauten, sowie Krankenhäuser
und öffentliche Gebäude der Regierung und Banken.
Während der großen Depression in den USA beauftragte ihn die
sowjetische Führung unter Stalin mit der Errichtung fast sämtlicher
großer Industrieanlagen des ersten Fünfjahresplanes, darunter
das Werk in der Stadtneugründung Magnitogorsk und das Traktorenwerk
(Traktorostroi) in Stalingrad. Zusammen mit dem teilweise unbekannten
dokumentarischen Filmmaterial aus den Werksarchiven der großen Amerikanischen
Automobilkonzerne und dem Staatsarchiv der UDSSR entwirft der sachliche
Film ein breit angelegtes Bild vom heroisch Aufbruch in die Industriemoderne,
mit großen organisatorischen und technischen Herausforderungen.
Mit wissenschaftlicher Objektivität legt er das Bedürfnis dieser
Zeit nach Effizienz, Repräsentation und Monumentalität dar.
Helmut Weihsman, Wien top
BZ
Berliner Zeitung
15. August 1996
So schön sind Fabriken
Fabriken sehen wir heute oft als umweltverschmutzende Monster. Am Anfang
unseres Jahrhunderts war das anders: Fabrikbauten waren der Inbegriff
der Moderne und ihr großer Architekt war Albert Kahn (1869
1942). Die Aufstrebende Autoindustrie in Detroit wurde für
den deutschen Juden zum ersten Betätigungsfeld: Für alle großen
Firmen (Ford, Lincoln, Buick) hat er die Fabriken gebaut. Mit seinem Bruder
Julius entwickelte er die ersten Stahlträger. Nutzen, Dauerhaftigkeit
und Schönheit war seine Devise.
Regisseur Dieter Marcello zeigt in seinem Film das Werk dieses Meisters.
Er kombiniert die Bilder mit der Musik von Komponist Charles Ives,
ein Zeitgenosse Kahns. Eine poetische Zusammenstellung gemäß
der Devise Architektur ist gefrorene Musik (Albert Kahn),
die hervorragend funktioniert. Leider kommt dadurch manchmal die Information
zu kurz. Doch durch die gute Kameraführung kann man Industriebauten
lieben lernen.
Raf top
TICKET
14. August 1996
Albert Kahn, Architekt der Moderne
Als Sohn eines Rabbi, arm und mit vielen Brüdern kam er aus dem Hunsrück
nach Amerika. Das Land gab ihm, was es allen versprach: unbegrenzte Möglichkeiten.
Und Albert Kahn baute ihm dafür den zweiten großen amerikanischen
Traum. Diesmal war er aus Stahlbeton, Glas und Licht. Massenproduktion
und allgemeine Wohlfahrt hieß sein Versprechen. Kahn war der Industriearchitekt
der frühen Moderne. 1908 produzierte Henry Ford das legendäre
Model T, eine neue Ära der Industrieproduktion begann. In den alten
aufgemauerten, sich mit Türmchen und Kreuzgang nach vergangenen Zeiten
sehnenden Fabriken wäre das nicht möglich gewesen. Kahn
gab den neuen Techniken ihre eigene Architektur. Dieter Marcellos Dokumentarfilm
ruft alle die Hoffnungen auf, die sich den traumlosen Mondlandschaften
der großen Industrien eingesenkt haben und die man ihnen längst
nicht mehr ansieht. Wer erkennt schon die Säulen Palladios wieder
in Henry Fords Werkhallen? Charles Ives Symphonien berühren Stahlbetonflächen
wie Denkmale. Eine gefrorene Musik nannte Kahn einmal die
Architektur. Doch klingen auch Stahlwerke? Nach diesem Film will man es
beinahe glauben.
Kerstin Decker. top
Frankfurter
Allgemeine Zeitung
2. Juli 1994
Ein Zeitalter wird besichtigt
Vorschau: Dokumentation über den Architekten Albert Kahn (ZDF)
Sein Leben und seine Karriere entsprachen auf fast schon groteske Weise
dem Traum vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten: 1869 als Sohn
eines Rabbiners im Hunsrück geboren, wandert Albert Kahn elfjährig
mit seiner Familie nach Amerika aus. In Detroit zunächst als Laufbursche
und Bürobote beschäftigt, avanciert er ohne jede weitere schulische
Bildung zum Bauzeichner. ermöglicht dreien seiner Brüder das
Studium, eröffnet ein Architekturbüro, steigt auf zum Chefarchitekten
der expandierenden Industriestadt. Am Ende seines Lebens steht der Spezialist
in Sachen Industriebau einem Unternehmen vor, das in fabrikmäßiger
Organisation vierhundert Angestellte beschäftigt und in der gesamten
westlichen Hemisphäre wie in der Sowjetunion wahre Fabrik-Städte
buchstäblich aus dem Boden gestampft hat.
Kahn ist der personifizierte Funktionalismus, seine gigantischen Fabrikanlagen
sind die Schlüsselbauten der Moderne. Daß er dem Industriezeitalter
die ihm gemäße Gestalt gegeben hat, war ihm bewußt. Ebenso,
daß er der - meist ungenannte - spiritus rector der klassischen
europäischen Moderne, der Vater Neuen Bauens in Deutschland und ungenannter
Mentor von Walter Gropius, Le Corbusier oder Mendelsohn gewesen ist. Seine
Haltung gegenüber dieser (deutschen) Moderne, welche die Fabrik zum
Prototyp allen Bauens erklärte, war distanziert, fast spöttisch.
Es habe seinen fatalen Doppelsinn, so äußerte er einmal, daß
man ,drüben' von "rasierter Architektur" spreche.
Kahn dagegen unterschied sorgsam zwischen den Bauaufgaben und Funktionen.
So rigide modern und asketisch seine Fabrikanlagen gestaltet waren
im Laufe der Jahrzehnte reduzierte er die Baukörper auf monumentale,
von Glas umhüllte Stahlbetongerüste so verschwenderisch
wußte er anderen Zwecken dienende Bauten zu dekorieren. Für
diese importierte er die abendländische Baukunst nach Amerika, vor
allem nach Detroit. Dem Geldadel der Automobilmetropole entwarf Kahn Villen,
Klubs, Appartment- und Bankpaläste, die Palladio und englische Gotik,
Neoklassizismus und Hochrenaissance in spezifische amerikanisch-praktische
Formen überführten; geschmackvoll, diskret und dennoch aufwendig.
Diese Seite im Schaffen Kahns kulminierte beim Bau eines völlig neuen
Zentrums für Detroit. Das dort 1927 errichtete Fisher Building, ein
sich zum Hochhaus allmählich staffelnder Komplex monumentaler Bauten,
erinnert bei aller Disziplin im Detail mit atemberaubendem Materialaufwand
und phantastischen Formen an Filmkulissen Cecil B. DeMilles "Ein
Zeitalter wird besichtigt".
All dies entstand, während zur selben Zeit nicht nur in Amerika,
sondern auch in der Sowjetunion von Kahn und seinem Bruder Louis entwickelte
Fließbandarchitekturen ganze Landstriche bedeckten. Öffentliche
Bedenken in Amerika, er unterstütze mit seinen sowjetischen Fabrik-Giganten
den Kommunismus, wischte Kahn beiseite: "Unabhängig von seiner
Regierung, hat das russische Volk nach der Tyrannei der Zaren Anspruch
auf Hilfe". Kahn, so heißt es, schuf der Sowjetunion jener
Epoche ihr industrielles Rückgrat. Und während der beiden Weltkriege
organisierte sein Unternehmen die Bauprogramme der amerikanischen Rüstungsindustrie
samt aller ihrer militärischen Stützpunkte.
Stoff in Überfülle also für eine filmische Dokumentation.
Der Filmemacher Dieter Marcello aber will mehr als dokumentieren; er versucht
sich an mehreren Filmen in einem: In der Eingangssequenz bereits Habermas
zitierend, erstrebt er einen umfassenden Blick auf das "unvollendete
Projekt Moderne"; bietet mit zeitraffenden Vergleichen zwischen der
Sowjetunion und Amerika einen Streifzug durch den unser Jahrhundert bis
vor kurzem prägenden Wettstreit der Gesellschaftssysteme; er setzt
an, in Detroits Autofabriken Aufstieg und Niedergang unseres Zeitalters
zu entschlüsseln, entdeckt in Kahns Bauwelten, mal die Hölle
und mal das Paradies unseres modernen Lebens, dem Fords Fließband
zu Beginn des Jahrhunderts die Weichen stellte und an dessen Ende der
Computer neue ungeahnte Möglichkeiten oder Abgründe verheißt.
Kein Wunder, daß bei allem raffinierten Tempowechsel, trotz überraschender
Schnitt- und Montagetechnik der Film mitunter an der Überfülle
der Motive schier erstickt.
Dennoch - sein epischer Grundton läßt Raum, eigene Interessen
zu verfolgen oder sich gelegentlich dem Strom der Bilder und Eindrücke
beiläufig interessiert zu überlassen. Pointierte Aussagen, abrupte
Wechsel sorgen dann für die notwendige erneute Konzentration. Etwa,
wenn plötzlich vor dem Hintergrund des 1993 gefilmten jüdischen
Friedhofs in Kahns Geburtsort ein Zeitzeuge zitiert wird. An Albert Kahn,
so dieser deutsche Veteran, werde wieder einmal deutlich, daß die
deutsche Wehrmacht trotz ihrer überragenden Tapferkeit keine Chance
gehabt habe: Die jüdische Weltverschwörung, auch in Gestalt
der von Kahn entworfenen Rüstungsfabriken und Militärbasen,
habe den Krieg entschieden. Wer würde vermuten, daß derart
beschämend aufschlußreiche Aussagen in einem Film über
einen der bedeutendsten Architekten unseres Jahrhunderts zu finden sind?
Dieter Bartetzko top
STUTTGARTER
ZEITUNG
3. Juni 1993
Albert Kahn, Architekt, Detroit, Atlantis
Das Detroit, das Dieter Marcello sucht und findet, ist eine andere Stadt
als jene der versackenden Slums, vernagelten Läden und verbunkerten
Mittelstandshäuser, die wir von Reisen, aus den Berichten der Ausländsjournalisten
oder aus den Krimis von Loren D. Estleman kennen. Marcellos Detroit, das
er schon in ,,American Beauty Ltd." gefunden hatte, ist eine Hymne
auf die Moderne, eine Verkündigung der neuen Zeit in Stahl und Glas.
Architektur sei erstarrte Musik, zitiert der 1942 geborene, einst in Stuttgart
bei Daimler als Maschinenschlosser tätige Regisseur in ,,Albert Kahn
Architekt der Moderne", und versucht nun, mit den Symphonien
Nummer 1 und 4 von Charles Ives und eigens komponierter Musik von Albrecht
Imbescheid die Stahlbeton- und Glassymphonien auch hörbar zu machen.
Wo wir heute Industrieanlagen als Geschwüre sehen und mißtrauisch
versuchen, ihren Schaden zu kalkulieren, wo wir an vergiftete Böden
und verschmutzte Luft denken, da sucht Marcello ihre Versprechen von Licht
und Geschwindigkeit, von Macht über das Schicksal und Überwindung
der Armut. Hier sind Fabriken keine Knochenmühlen, sondern visionär
und leicht, Gebilde überspannten Raums. ,,Das andere, das Negative",
sagt Marcello, ,,denken wir uns sowieso dazu."
Albert Kahn, 1869 im Hunsrück geboren, hat den Automobilbaronen ihre
Villen und Montagehallen, ihre Theater und Clubs gebaut. Aber ein eigenartiger
Schlenker der Geschichte läßt den Juden Albert Kahn auch als
geostrategischen Gegenspieler Hitlers erscheinen, der klug Steine setzte,
bevor er ahnen konnte, zu welchem Spiel sie gehören. Detroit wurde
die Rüstungsschmiede Amerikas in beiden Weltkriegen, und Kahns Firma,
die dem modernen Kapitalismus seine Monumente geliefert hatte, erhielt
Anfang der Dreißiger auch enorme Aufträge von der Sowjetunion
und errichtete in nur zwei Jahren 530 Fabrikanlagen, die ein Agrarland
zur Industriemacht wandelten. Als die deutsche 6. Armee in Stalingrad
gestoppt wurde, war einer der Sperriegel eine von Kahn gebaute Traktorenfabrik.
Die eine Seite von Kahn hat schon Chaplin die Maschinenhalle in
,,Modern Times" hatte wohl einen Generatorraum bei Ford zum Vorbild
weitergedacht: er zeigte ein System, das den Menschen versklavt
und zum Rohstoff macht. Die andere Seite, den Humanisten, der die beste
der möglichen Industriewelten wollte, zeigt Marcello. Aber dem Resultat
der Moderne steht dieser tributzollende Film, das blitzt mehrmals durch,
wiederum mit großem Pessimismus gegenüber. Die Kamera, erkennen
wir dann, schwebt durch Kahns Welt wie durch das untergegangene Atlantis.
tkl top
STUTTGARTER
NACHRICHTEN
8. Juni 1993
Eine Premiere: Dieter Marcellos Film Über den Industriearchitekten
Albert Kahn
Die Symphonien eines Baumeisters
Architektur - ein Filmthema? Selten wurde so faszinierend die Uberlegenheit
des Mediums bewiesen wie bei diesem Dokumentarfilm über den Industriearchitekten
AIbert Kahn, das jetzt im Ludwigsburger ,,Caligari" seine Premiere
erlebte.
Wenn Architektur erstarrte Musik ist, wie der Film zitiert, beschreitet
der 1942 geborene Filmemacher Dieter Marcello den umgekehrten Weg. Die
dramatischen und disparaten Symphonien ("eigentlich Filmmusik",
so Marcello) des am Anfang unseres Jahrhunderts kaum verstandenen Charles
Ives und die eigens von Albrecht Imbescheid komponierten Stücke erwecken
Filmfahrten, Inserts und Archivbilder dieser Architektenbiographie zum
Leben.
Albert Kahn, 1869 im Hunsrück geboren, und Sohn deutsch-jüdischer
Emigranten, begann seine Architekturkarriere im Herzen des industriellen
Amerika. Detroit 1908; die legendären Ford-T-Modelle rollen vom Fließband
- ohne die Industriehallen von Albert Kahn wäre die Automobilindustrie
der USA schlecht denkbar. Der Film von Marcello, der einmal Maschinenschlosser
und Betriebsrat bei Mercedes war, spürt einige der über tausend
Komplexe, die das Architekturbüro, neben Clubs, Schulen, Bibliotheken
und Villen für die Detroiter Automobilgiganten erstellt hat,
auf und fängt sie Raster für Raster ein. Palladio, den italienischen
Baumeister und Außenseiter des 16. Jahrhunderts, lernt Kahn mit
22 Jahren auf einer Italienreise kennen. Der Film zieht über die
Strenge und Logik von Prandellos Ästhetik-Proportionen schlüssig
Verbindungen zum Indurstriebau von Kahn, der wiederum bisher wenig wahrgenommen,
auf Gropius und Le Corbusier abfärbt.
Mit Stahl -Albert Kahns Bruder Julius "erfand" den sogenannten
Kahn-Träger - und Glas montierte er seriell die einstöckigen
Werks- und Inspektionshallen. Im "Fisher Building", einem Art
Déco-Palast von 1929, kippt er das Prinzip als Hoch' haus in die
Vertikale, allerdings mit der für amerikanische Wolkenkratzer der
Zwanziger typischen Verkleidung. Erstmals ausgegrabenes Archivmaterial
aus der Sowjetunion, für die Kahns Firma Anfang der dreißiger
Jahre einzigartig nahezu den gesamten Industriepark (u. a. die Traktorenfabrik
bei Stalingrad und die weltgrößte Industrieanlage Magnetogorsk)
erstellte, machte die nur durch straffste Arbeitsteilung und höchste
Organisation erreichte Bauleistung deutlich. Über Nacht fanden 1500
Planer, Zeichner und Architekten ihren Arbeitsplatz im stalinistischen
Sowjetreich. Auch wenn Kahn antisemitische Tendenzen der Sowjetmacht erkannte,
siegte bei ihm die Überzeugung ,,dem durch die Zarenherrschaft jahrhundertelang
unterdrückten Volk helfen zu müssen". Poetisch und zugleich
distanziert erarbeitet Dieter Marcello sein Portrait und reizt dabei alle
Möglichkeiten eines Dokumentarfilms aus, beispielsweise mit kleinen
Spielhandlungen, die er vor Palladlo-Bauten im italienischen Vicenza gedreht
hat.
,,Albert Kahn, Architekt der Moderne deckt einen kaum bekannten Aspekt
zur Architektur der Moderne dieses Jahrhunderts auf, so daß man
das Video davon am liebsten in einige architekturhistorische Bibliotheken
einreihen möchte. Dort zu verstauben allerdings hätte es aber
wirklich nicht verdient.
Katrin Grünewald
top
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