ALBERT KAHN
ARCHITEKT DER MODERNE (1993)
Dokumentarfilm, 35mm/Video, ca. 80 Min.
Farbe/s-w, dt./engl. Regie: DIETER MARCELLO
Kamera: CHRISTIAN LEHMANN
|
Albert Kahn (1869-1942), in Rhaunen in Deutschland
als Sohn eines Rabbi geborener Jude, machte in der ersten Hälfte
dieses Jahrhunderts in den USA eine außergewöhnliche Karriere
als Architekt. Er wurde insbesondere mit seinen Industriebauten für
die aufkommende Autoindustrie bekannt und hatte einen unermeßlichen
Anteil an den Rüstungsanstrengungen der USA im ersten, und mehr noch
im zweiten Weltkrieg.
Zusammen mit seinem Bruder Julius entwickelte
er die breite und auf wissenschaftlichen Methoden gegründete Anwendung
des Stahlbetons in der Architektur des 20. Jahrhunderts.
Unter seiner Leitung entstanden nicht nur fast sämtliche Bauten
und Werksanlagen der soge-nannten 'Großen Drei' und der übrigen
US-Autoindustrie, sowie die Fabriken für die amerikanische Luftfahrtindustrie,
sondern auch Krankenhäuser, Banken, Verwaltungsbauten und öffentliche
Gebäude wie Synagogen und Kirchen, Bibliotheken, Clubs, Schulen und
Universitätsbauten, und hunderte von großartigen Villen für die legendären
Autobarone Detroits.
Während der Großen Depression in den USA beauftragte ihn die
Regierung der Sowjetunion mit der Planung und der Errichtung fast sämtlicher
großer Industrieanlagen des ersten 5-Jahres-Plans: in einem Zeitraum
von zweieinhalb Jahren entstanden dort rund 530 Fabrikkomplexe - darunter
die Traktorenfabrik Nr. 5 in Stalingrad, später Produktionsstätte
für den T-34-Panzer, an der mit dem Ende des deutschen Vormarschs
auch die Wende im 2. Weltkrieg eingeleitet wurde.
So wie seine Firma schon im ersten Weltkrieg die Anlagen errichtet hatte,
in der die Eagle-Boote für den U-Boot-Krieg im Atlantik vom Fließband
liefen, so rollten aus seiner ästhetisch eindrucksvollsten Fabrik,
dem 'Chrysler-Tank-Arsenal', die Panzer für den Einsatz in Nordafrika,
und aus dem letzten Bau, den Albert Kahn selbst beaufsichtigt hat,
die Liberator-Bomber vom Fließband gegen die deutsche Kriegsmaschine.
Noch immer ist dieses Architekturbüro führend im Industriebau;
in seinem einhundertsten Gründungsjahr öffnen die neuen amerikanischen
Fabriken von BMW und Mercedes - entworfen auf den Reißbrettern von
Albert Kahns Firma.
Die Ästhetik der von der Adaption der italienischen und französischen
Renaissance beeinflußten Industriearchitektur Albert Kahns wurde
von den führenden Köpfen des deutschen Bauhauses mit enthusiastischer
Begeisterung übernommen. Sie beeinflußte, mit der wachsenden
Verbreitung des Internationalen Stils, die Ästhetik der Architektur
des 20. Jahrhunderts als Ganzes. Kahn selbst hat sich zu dieser Ent-wicklung
in Richtung auf eine drugstore-Moderne kritisch, mit Witz und polemischer
Schärfe, geäußert.
Die zeitgenössische Musik, hauptsächlich des amerikanischen
Komponisten Charles Ives (1874 - 1954), der als der Vater der Modernen
Musik Amerikas gilt, bildet in der Montage mit dem Bildmaterial eine eigenständige
Ebene im Film. Wie bei Albert Kahn überspannt das Werk von Charles
Ives einen weiten Bogen, von der europäischen Romantik bis hin zur
eigenständigen musikalischen Sprache des modernen Amerika - wenn
auch der visionäre formale Reichtum der Musik von Charles Ives erst
Jahrzehnte nach ihrem Entstehen erkannt wurde. Auch die heutige zum Film
komponierte und unter der Leitung von Braxton Blake eingespielte Musik
von Albrecht Imbescheid kontrastiert mit ihren Themen und Strukturen Elemente
der Musik der Renaissance; Albert Kahn selbst, der in seiner Jugend von
einer Karriere als Konzertpianist geträumt hatte, begriff, dem Verständnis
der Renaissance von den Beziehungen zwischen Musik und Architektur folgend,
die Architektur als 'frozen music'.
Zusammen mit dem teilweise unbekannten dokumentarischen Filmmaterial aus
Archiven der USA und der Sowjetunion entwirft der Film ein breit angelegtes
Bild vom Aufbruch unserer Industriemoderne, ihren organisatorischen und
technologischen Herausforderungen und dem ihr eigenen Pathos -
weitgehend aus der Perspektive der Zeit, ohne dabei Zeitzeugen und objektivierende
Sekundärliteratur für die 'Aufklärung' des Zuschauers zu
bemühen. Die Aufnahmen zu Albert Kahn Architekt der Moderne
entstanden in Detroit, in Rußland, in Italien und in Deutschland
- zum Teil unter erstmaliger Verwendung von Spezialobjektiven für
die 35-mm-Filmkamera, wie sie in der Architekturfotografie zum Parallaxenausgleich
seit langem üblich sind.
Öffentliche Mittel zur Produktion dieses 35mm-Dokumentarfilms stammen
aus einem Bundesfilmpreis, den Dieter Marcello als Produzent und Regisseur
für seinen ersten Film American Beauty Ltd. erhielt, und von einem
Zuschuß des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg.
top
|